Feldpostbriefe aus Russland

Die ausgewählten Briefe von Kuno Rinker können bei Bedarf durch Anklicken der Bilder auch im Orginal angezeigt und gelesen werden. Sehr lange Briefe benötigen dabei allerdings entsprechende Ladezeiten und die Briefe sind trotz Aufbereitung aufgrund ihres Alters oftmals schwer zu entziffern.

Ab dem 01.07.1942 ergeben die Anfangsbuchstaben des ersten Absatzes bei entsprechender Markierung des Briefes den derzeitigen Einsatzort der Beobachtungs-Abteilung 36. Dies wurde so zwischen dem Vater Gottfried Rinker und seinem Sohn Kuno abgesprochen. Eine Nennung von Orten und Einheiten in den Feldpostbriefen war nicht erlaubt und so benutzten Vater und Sohn diese Codierung um zumindest den Standort der B36 mitzuteilen. Die entzifferten Orte sind im Brieftext am Ende des ersten Absatzes als [Anmerkung] eingetragen.

Gleich im Voraus: dies sind keine heldenhaften Erzählungen oder actiongeladene Berichte. Auch aus Stalingrad sendet der Briefeschreiber keine vollkommenen Horrornachrichten nach Hause (auch wenn vieles aus Rücksichtnahme auf die besorgte Mutter wohl verschwiegen wurde) - wer entsprechendes erwartet, wird enttäuscht werden. Man erhält hier Einblicke ins Leben eines einfachen Soldaten, der ohne Erwartungen nach Russland kommt und seiner Familie von seinen Erlebnissen dort berichtet.

Feldpostbrief Kuno Rinker 1
Ulm, den 3.März 1941
Liebe Eltern!
Seid Ihr ein wenig erstaunt gewesen, als mein Brief ankam? Ich habe heute gerade Zeit und möchte wieder was von mir hören lassen. Wir haben heute Vormittag schon den 1. Teil der Besichtigung gehabt. Morgen Nachmittag kommt dann die Besichtigungs-Einsatzübung. Rückkehr gegen 24.00 Uhr steht auf dem Dienstplan. Der Unterricht ist zur vollen Befriedigung des G.-Kommandeurs ausgefallen. Ganz das Gegenteil war aber der Fußdienst. Das war nämlich beinahe ein ganzer Versager, so dass uns schon angekündigt wurde, dass die nächsten Exerzieren dementsprechend sein werden. Wir sind alle gespannt, ob das zutrifft. Wirklich werden wieder viele versetzt. Sie kommen meistens nach Ostpreußen. Überhaupt liegt in Richtung Osten irgendein verborgenes Geheimnis. Da muss irgendetwas in der Luft liegen (Russland?)
War Gisela gestern in Ulm? Beinahe hätte ich sie treffen können. Ich musste nämlich zum Optiker betreffend Schießbrillenverpassung und durfte erst eine Stunde später gehen als vorgesehen war. Um ½ 6 Uhr war ich auf dem Hauptbahnhof.
In Afrika klappt es ja jetzt ausgezeichnet. Hoffentlich komme ich nicht zu spät zur großen Entscheidung. Das würde mich furchtbar ärgern. Heute Abend wollte ich zu Heinz gehen, aber er war nicht da. Vielleicht gehe ich am Sonntag mit ihm aus. Nur kann es auch sein, dass ich gar keine Zeit habe. Ich lege Euch heute wieder Bildchen bei. Die müsst Ihr aber gut aufbewahren. Das ist nämlich eine schöne Erinnerung. Sie sind meistens von den beiden Vereidigungen und von Gefechtsübungen.
Nun grüßt Euch alle recht herzlich
Euer Kuno
Feldpostbrief Kuno Rinker 2
Böhmenkirch, den 25.August 1941
Meine Lieben!
Ich bin wieder sehr gut hier angekommen. Mit diesem Briefe muss ich gleichzeitig die Schreibmaschine meines Bauern ausprobieren. Denkt Euch nur, als ich hier ankam hat die Tochter meines Bauern mir meinen Trillich gewaschen und gebügelt, Schuhe geputzt, Socken und Hemd gewaschen. Ist das nicht sehr nett von diesen Leuten? Dann, wenn man bedenkt, dass jetzt die Ernte vollen Tritt gefasst hat, wird mein Zimmer täglich hinaus gerichtet und meine Sachen sauber hingelegt.
Einer von unserm Kommando wurde heute telefonisch abberufen. Soviel ich ferner schon bemerkt habe ist die Gesinnung der hiesigen Einwohner nicht gut. Die meinen das Geld würde bald kaputt gehen, Amerika werde bald in den Krieg gegen uns eintreten, was mit sich bringen würde, dass wir den Krieg ganz bestimmt verlören.
Sonst weiß ich eigentlich nicht viel Neues zu berichten als dass es mir täglich besser gefällt.
Nun grüße ich Euch alle recht herzlich
Euer Kuno
Feldpostbrief Kuno Rinker 3
den 16.Oktober 1941
Meine Lieben!
Wir haben gerade wieder einen längeren Aufenthalt auf einem russischen Bahnhof. Wie er sich nennt, das weiß kein Teufel, denn diese Buchstaben sind für uns alle ein „Böhmisches Dorf“. Die Fahrt verlief bis jetzt ganz ausgezeichnet. Am Freitag, 10.10.41, 13.15 Uhr, sind wir in Ulm abgefahren in 2 französischen Personenwagen als Anfangsfahrzeuge eines langen Güterzuges. Wir konnten uns sofort häuslich einrichten, da die Wagen uns bis zur Frontsammelstelle bringen. Platz haben wir genügend. Die Wagen sind auch wie bei uns in einzelne Coupés eingeteilt mit einem durchgehenden Gang auf der Seite. Der Güterzug brachte uns über Donauwörth nach Nürnberg. Dort wurden wir an einen beschleunigten Personenzug angehängt. Nach einigen Glas Bieren und einem Nachtessen in der Bahnhofswirtschaft ging es weiter über Hof und Plauen nach Leipzig. Dort hatten wir 4 Stunden Aufenthalt und durften einzeln in die Stadt. Nachdem wir durch das Deutsche Rote Kreuz verpflegt waren, stiegen wir am Güterbahnhof wieder ein.
Ein Güterzug brachte uns dann über Cottbus und Rothenburg (Oder) nach Neu-Bentschen. Dieses Städtchen war nach dem Weltkrieg Grenzstation zwischen Deutschland und Polen. Auch hier verpflegte uns das D.R.K. wie an fast sämtlichen Stationen, die ich bis jetzt aufgeführt habe, und die noch folgen. Ihr macht Euch gar kein Bild, wie froh wir Soldaten am D.R.K. sind. Es ist dies eine ganz wunderbare Einrichtung. Wenn man den ganzen Tag unterwegs ist und nur von Brot und Konserven lebt, so ist jeder von uns froh, wenn er eine warme Suppe oder warmen Eintopf bekommt und dazu noch heißen Kaffee oder Tee in die Feldflasche. Das erste was wir heute tun, wenn wir an einer Station halten, ist, dass wir erst nach den Namen schauen, und dann nach dem DRK.
Am Sonntag, 12.10.41, 15.40 überfuhren wir die Grenze des ehemaligen deutschen Reiches und dem polnischen Korridor. Voller Spannung schaute alles zu den Fenstern raus. Aber ein großer Unterschied war hier nicht festzustellen. Die Landschaft wurde allmählich flach. Größere Dörfer sahen wir nicht, aber dafür viele einzelne Höfe. Posen – Goßlershausen – deutsch Eylau waren die großen Städte, die wir aber alle in der Nacht vom 12. auf 13. passierten.
Dann ging’s hinein nach Ostpreußen. Der Weg führte über Allenstein – Insterburg und Eydtkau. Dort waren wir am 13. so gegen 22.00. Es war dies gleichzeitig die letzte deutsche Station. Wo es von hier aus hingehen sollte, wusste niemand. Genau so wenig wir heute wissen wo wir hingefahren werden.
Am 14.10.41 passierten wir die deutsch-litauische Grenze etwa um 0.45. Beim Morgengrauen biegen wir in den Bahnhof von Kowno ein. Er ist eine sehr große Anlage. Tadellos sauber. Von Kowno aus konnten wir zum ersten Male während der Fahrt fremdes Land und fremde Leute kennenlernen. Wir durchfuhren eine flache, wellige Landschaft mit viel Wald-, Wiesen- und Weideland. Selten sah man ein paar kleine Äckerchen. Es gibt hier fast gar keine Ortschaften. Weit zerstreut im Gelände liegen einzelne Behausungen. Es sind dies ganz kleine, primitive Holzhütten ungefähr so groß wie bei uns die Wochenendhäuschen in den Gärten. Nebenan mindestens ein kleiner Schuppen fürs Vieh und sonstiges Gerät. Die 3-4 schwarz-weiß gefleckten Kühe, die dazu gehören, liefen frei weidend in der Gegend umher, in den seltensten Fällen bewacht. So geht es fort.
Nach ein paar ganzen Stunde Bahnfahrt gelangten wir in Wilna an. Da wir hier wieder so ungefähr 5 Stunden Aufenthalt hatten, bekommen wir die Erlaubnis uns die Stadt anzusehen. Wir haben sie dann 2 Stunden lang kreuz und quer durchlaufen und beinahe den Bahnhof nicht mehr gefunden. Es gibt hier 1 schöne geteerte Straße. Sonst breite, mit ganz groben Steinen gepflasterte, holprige Wege. Was eigentlich die Leute arbeiten, konnten wir bis jetzt noch nicht feststellen. Ein paar 100 m nach dem Bahnhof eine große Menschenmenge. Es waren Litauer die untereinander handelten und tauschten. Der eine hatte einen Mantel, der andere Stoff, Handtücher, wieder andere Schuhe, kurzum, jeder irgendetwas, altes, neues Zeug usw. Da war ein Geschwätz, ein Gejohle. Wir staunten und lachten. Die Leute selbst unglaubliche Kleidungsstücke: Schlappmützen, lange Pelzmäntel und meistens Rohrstiefel, auch Frauen, unrasiert, lange Haare, vielleicht vor 6 Monaten zum letzten Male geschnitten. Viele, anscheinend ehemalige jüdische Geschäfts- und Privathäuser sind beschlagnahmt und mit Ketten und Schlössern verschlossen. Die Juden selbst sind erkenntlich an ihrem Davidstern, den sie auf der Brust und auf dem Rücken angeheftet tragen. Sie dürfen nicht auf dem Bürgersteig laufen, sondern daneben am rechten oder linken Straßenrand.
Vom Krieg sahen wir nicht besonders viel. Einige Häuserblocks waren zusammengeschossen oder ausgebrannt. In der Hauptstraße sind die Juden und Kriegsgefangenen zu den Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Wenn einer nichts arbeiten will, bekommt er mit der Reitpeitsche des Aufsichtshabenden ein paar wohlverdiente Hiebe über den Rücken. Der deutsche Soldat wird ganz zuvorkommend behandelt. Um 15.00 verließen wir dann Wilna, um über Dünaburg das wir gegen 24.00 durchfuhren, die lettische Grenze zu überschreiten.
Dann ging’s hinein nach Lettland. Soweit wir dieses Ländchen bei Tag durchfuhren, konnten wir feststellen, dass gar kein Unterschied in Landschaft, Bevölkerungsaussehen und Häuserbau besteht. Bei der Eisenbahn der beiden Länder herrscht kein Betrieb, stur auf Fahrplan wie bei uns. Wenn wir gefragt haben, wann der Zug abfährt, (es war nur lit. bzw. lett. Personal vorhanden) so sagte man uns: in ca. 10 Min oder halbe Stunde. So genau nahmen die es nicht. Von hier an hat eine richtige Bummelei begonnen. Am schnellsten geht es vorwärts, wenn unser Transportführer, ein Leutnant auf der Lok fährt.
So gelangten wir in Indra an, der lettisch-russischen Grenzstation. Da wir auch hier ziemlich lange Aufenthalt hatten, statteten wir (ein Kamerad und ich) einem lettischen Bauernhaus einen Besuch ab. Das 1 stöckige Häuschen mit Strohdach besitzt 3 Räume, einen großen, der Küche, Wohnraum und Schlafraum für einen Teil der Familie ist. Dann noch 2 kleine Zimmerchen im Ganzen so groß wie unser Abort. Wir sind sehr freundlich empfangen worden und bekamen Käse und Butter, das Haupternährungsmittel der Letten. Das war so ein welschen mit den Leuten.
So reifte allmählich der von uns mit größter Spannung erwartete Augenblick heran. Am 15.10.1941 16.00 überfuhren wir die lettisch-russische Grenze. Die Russen haben der ganzen Grenze entlang Drahtverhau angebracht. Dass es inzwischen sehr kalt geworden ist und der Boden schon ein weißes Schneekleid angezogen hat, möchte ich auch noch erwähnen. Unsere Lebensmittelvorräte sind durch die furchtbare Bummelei ebenfalls so zusammenschrumpft, dass wir mit Wasser und Brot uns glücklich fühlen. Es ist nämlich nur eine eingleisige Bahnlinie vorhanden auf der sich der ungeheuer starke Verkehr abspielen muss. Die wenigen kleinen Bahnhöfe sind mit Zügen angefüllt. Nun ist inzwischen der 17. angebrochen. Wir stehen wieder auf einem Bahnhof und sehnen die Weiterfahrt schon seit heute früh 5 Uhr, nun ist es 9.30. Inzwischen haben wir die Stadt Polazk durchfahren, wurden dort durchs DRK verpflegt und sind nun gestern Abend 20.00 bis heute früh 5 Uhr volle 25-30 km weiter gekommen.
Auf unserer Strecke von der russischen Grenze bis hierher sieht man kaum etwas vom Kriege. Einige größere Häuser, die im Gegensatz zu den andern aus Backstein gemauert waren, sind restlos zerstört. Man konnte deutlich noch die Einschläge von Gewehrkugeln und PAK-Geschossen erkennen. Dann sahen wir einzelne Waldstücke, die stark zerschossen waren. Baumstümpfe ragen zum Himmel, Äste und Zweige liegen durcheinander, usw. Vater weiß ja wie das aussieht. Auch hier konnten wir feststellen, dass der Kampf nur stellenweise getobt hatte. Bewiesen wurde dies uns durch die vereinzelnd vorhandenen deutschen Heldengräber, von denen nur noch das Birkenholzkreuz und der Stahlhelm sichtbar sind, während der andere Teil unterm Schnee liegt.
Dann hatte ich gestern Gelegenheit ein russisches Dorf zu durchqueren. Schriftlich kann ich euch meine Eindrücke nicht schildern. Hütten aus Holzlatten, dem Einbruch nahe, Fenster halbe Scheiben aus Glas, halbe aus Pappe, Stroh- oder Schindeldächer, die eine gründliche Ausbildung sehr notwendig hätten. Und erst im Innern. Ich war drinn in einem. Eine Stube (den Kopf schlug ich beim Eintreten an den oberen Querbalken des Türrahmens), eine furchtbare Luft, Aufenthaltsraum der ganzen Familie, Schlafzimmer zugleich für einen Teil davon. Es wurde gerade darin gewaschen. Zu meinem größten Erstaunen hing ein Lautsprecher drin. Nur ein Lautsprecher, denn das Programm wurde auf einer „Zentrale“, irgendwo im Dorf, oder noch von weiter her eingestellt. Die Leute konnten, das schlossen wir daraus, nur ein von den russischen Behörden gewolltes Programm hören. Jetzt spielte deutsche Musik gerade: „Das ist der Tag des Herrn!“. Dann die Bevölkerung: die Männer oder Passanten der Straßen schauen uns mit mürrisch, verstohlenen Blicken an. Die Frauen in den Häusern waren sehr freundlich zu uns, lachten und kauderwelschten mit uns, dass es eine wahre Freude war. Nun muss ich meinen Brief wieder abbrechen und auf die Weiterfahrt warten.
Am 17.10.1941 18.30 sind wir in den Bahnhof Witebsk eingefahren. Das Bahnhofsgebäude ist ausgebrannt. Nun begann ein ¾ stündiger Marsch durch die Stadt zur Verpflegungsstelle. Man kann eigentlich, so viel wir bei der Dunkelheit feststellen konnten, nicht mehr von einer Stadt sprechen. Auf 2/3 unseres Weges links und rechts der Straße lauter ausgebrannte 2-3 oder gar 4-5 stöckige Häuser, nicht ein einziges unversehrt. Auf dem letzten Drittel überwiegte dann die Zahl der unversehrten Häuser. Teilweise roch es noch stark nach Brand. So was muss man gesehen haben.
Am andern Abend dann in Smolensk. Genau dasselbe Bild. Furchtbare Zerstörungen. Nun sind wir heute in Roslawl. Hier herrscht ein kolossaler militärischer Betrieb. Hier wird Munition - und Post abgeholt an die Front. Die Frontsammelstelle teilte uns mit, dass wir nach Wjasma müssen, 250-300 km westl. Moskau. Hier bekommen wir seit 3 Tagen wieder warme Suppe und Brot. Heute, d.h. täglich kommen sie für die Verwundeten zur weiteren Fahrt nach Deutschland. Auch ein unendlicher Zug gefangener Russen marschierten vorbei. Zerlumpt, heruntergekommen, junge und alte. Sie raufen sich um einen Bissen Brot wie hungrige Aasgeier. So was solltet ihr mal sehen. Am 2. Oktober, also vor 18 Tagen tobte hier noch ein heftiger Stellungskampf. Heute ist die vordere Front 250-300 km entfernt. Nun geht es wieder zurück nach Smolensk und dann endgültig zu unserer B36.
Ich habe euch nun ziemlich viel geschrieben. Hebt bitte diesen Brief gut auf. Überhaupt alle, die ich euch vom Felde heimschreibe. Leider muss ich noch warten bis die Feldpostnummer bekannt ist. Mein Messer habe ich auch schon verloren. Rauchwaren habe ich auch keine mehr. Sonst bin ich ganz zufrieden. Ich habe mich aber sehr umstellen müssen. Seid nur froh, dass Ihr daheim keinen Krieg habt. Hier herrscht nämlich große Not und Elend. Nun bin ich gespannt, was in Wjasma geboten ist.
So grüßt Euch alle sehr herzlich
Euer Kuno!
Feldpostbrief Kuno Rinker 4
27.10.41!
Meine Lieben!
Ich bin nun heute endlich nach 17 stündiger Fahrt bei meiner Truppe eingetroffen, ganz mit Dreck überzogen. Ihr macht Euch gar kein Bild, was für Straßenverhältnisse hier herrschen. Unsere Fahrzeuge leisten Unglaubliches. Wir haben Tage hinter uns, wo wir von früh 7 Uhr bis zur Dämmerung, so etwa gegen 16.30, ganze 20-25 km zurücklegten. Die „Hauptstraßen“ führen teilweise durch Sumpfgebiete, die die Wagen bis beinahe an die Achsen einsinken lassen. Dann stehen wir immer bis über die Knöchel im Schlammassel, schieben und werden von den schleifenden Rädern gänzlich vollgespritzt, dabei dann noch Regen und nasskalt peitschender Wind. Wir liegen zurzeit in einem Bauernhaus. Mein erster Stubenältester „wohnt“ auch hier. Von den „Alten“ sind wir sehr gut aufgenommen worden.
Weiter habe ich Gelegenheit gehabt ein großes Stück auf einer Hauptrückzugsstraße der Sowjets zurückzulegen. So was ist ganz toll. Wie dieses Sowjetparadies in Wirklichkeit aussieht, kenne ich nun zur Genüge. Seid froh, dass Ihr in Deutschland seid, denn dort ist es goldig. Die Landbevölkerung lebt eben von Kartoffeln und Milch, oder Wasser. Brot hat sie fast keines.
Wenn in nächster Zeit eine der bedeutendsten Sondermeldungen dieses Feldzuges bekannt wird, so denkt dran, dass ich auch dabei war. Unsere Verpflegung wäre gut, wenn sie in genügenden Mengen auch vorn gebraucht werden könnte. 5 Mann bekommen täglich 1 Kommissbrot und 1 kleine Büchse Fleisch. So schieben wir aber dauernd Kohldampf. Ebenso ist es zurzeit mit dem Eintopf. Da eine Feldküche vorläufig ausgefallen ist, müssen 2 Batterien durch 1 Küche gesättigt werden.
Herrenlose Pferde treiben sich hier zahlreich herum. Die Russen fangen sie ein und kommen so auf ganz billige Art zu einem solchen. Leider darf ich nun nicht mehr alles schreiben, was ich gerne möchte. Ihr braucht Euch um mich auch keine Sorge machen, mir geht es gut.
So grüße ich Euch alle vielmals
Euer Kuno
NB: Hausschuhe könnte ich gut gebrauchen, dann Zigaretten und Streichhölzer, und wenn es möglich ist, ein neues Taschenmesser.
Feldpostbrief Kuno Rinker 5
Im Osten, 29.10.41
Meine Lieben!
Nun sind wir eingeteilt worden. Auswerter konnte die Batterie gar keine brauchen. Diejenigen von uns, die keine Brille tragen, kommen zu den Beobachtern (freiwillig). Wir 3 Brillenträger wurden nicht angenommen und sind nun der schweren Staffel zugeteilt, deren Eintreffen wir täglich erwarten.
Ein Einsatz unserer Abteilung ist auch sehr in Frage gestellt, da ein Vorwärtskommen auf der besten russischen Straße, der sogenannten Rollbahn, ganz unmöglich ist. Es ist dies die russische Autobahn, geteert, aber, je weiter total zusammengeschossen. Der Nachschub für unsere vordersten Linien kann nur durch unsere braven Ju 52 erfolgen, die täglich ununterbrochen in nur einigen m Höhe über uns hinweg fliegen. Hoffentlich wird es bald kälter, damit es gefriert. Außer Vater könnt Ihr Euch bestimmt kein Bild machen über hiesige Straßenverhältnisse.
Wir sind hier zu 14 in einem russischen Bauernhaus. Meine Arme sind von Wanzen zerstochen. Selbstverständlich hat jeder Läuse. Morgens nach dem Aufstehen wird immer das Hemd nach solchem lästigen Ungeziefer durchsucht. Um 7 Uhr stehen wir auf. Ab 9 Uhr ist Arbeitsdienst, und zwar wir Neuen: Kartoffelschälen. 12-14.00 Mittagspause. 14-16.00 wieder Arbeitsdienst. Heute haben wir Kartoffel geerntet, von denen noch ganze Felder voll stehen, zum Teil schon unter gefrorener Erde. Ab 16 Uhr ist Dienstschluss, da es ja gegen 16.20 schon Nacht wird. Gegen 19 Uhr legt sich die Bäuerin mit ihren 6 Kindern ins Bett. Eins davon liegt noch in der Wiege. Es ist dies eine 4-eckige Kiste, die an einer Feder an der Decke hängt und mittels einer Schlaufe, in die der Fuß gestellt wird, fast den ganzen Tag auf und ab gezogen wird. Dann sind 2 Betten vorhanden. In jedem liegen 3 Personen, aber mit voller Bekleidung. Alle essen ihre Mahlzeit aus einem schmutzigen Napf und die Mutter stillt nebenher ihren Säugling. Tolles Familienleben.
Heute wurde mir meine schmutzige Wasch gewaschen. Gebügelt wird sie folgendermaßen: das betreffende Stück wird um ein rundes Holz gerollt und auf die Bank gelegt. Das ganze wird dann mit einem heißen, flachen Holzstück, in das lauter Querrinnen eingeschnitten sind, gerollt bis das Wäschestück glatt ist.
Etwas ganz schönes ist ein Radio, das ein Kamerad bei sich hat, denn dadurch sind wir immer mit der Heimat verbunden. Ich mag sehen, wie lange eigentlich die Post dauert, und freue mich auf den ersten Brief von Euch. Was gibt’s Neues in Hermaringen? Könntet ihr mir vielleicht einmal Zwieback oder so was ähnliches schicken? Das würde mich sehr freuen. Dann, aber nur wenn möglich, Zigaretten und Streichhölzer, denn rauchen vertreibt den Hunger ein wenig. Durch diese Wünsche möchte ich aber durchaus nicht anspruchsvoll an Euch herantreten. Nun habe ich genau seit 12. Oktober nicht mehr in meinen Geldbeutel gegriffen und trotzdem gelebt. Gell, wenn dasselbe nur auch bei Euch der Fall wäre.
So möchte ich für heute wieder schließen und Euch alle recht herzlich grüßen.
Euer Kuno
NB: Ihr hebt doch alle Briefe auf, die ich Euch aus dem Felde schreibe? Denn später ist es schön, wenn man darin wieder über alte Erlebnisse nachlesen kann.
Feldpostbrief Kuno Rinker 6
10.12.41
Meine Lieben!
Am gestrigen Tage habt Ihr mir eine große Freude bereitet. Ich bekam das erste Päckchen, d.h. das zweite, das Ihr abgeschickt habt. Euer erstes ist jedenfalls noch unterwegs. Ihr glaubt kaum, wie wertvoll der Inhalt für mich war. Gleichzeitig erhielt ich eines von Frau Makkens. Ich war ganz platt, denn daran hätte ich nie gedacht, da ich ihr ja noch nie geschrieben habe.
In der Zwischenzeit habt Ihr wohl auch meinen zweiten und die meisten aller anderen Briefe erhalten. Z. Zt. haben wir starken Schneefall, der die Operationen wesentlich beeinträchtigt. Die Temperatur ist wieder etwas zurückgegangen.
Nun zur allgemeinen Lage: am 7.11. sind wir zum Einsatz abgefahren und haben dann unter anderem auch in Borodino übernachtet. Dieser Ort ist ja bekannt vom Feldzuge Napoleons her. Dann ging’s durch Moschaisk und Rusa der vorderen Linie entgegen. Nun wurden wir der SS zugeteilt. Am 17.11. begann dann mein erster Einsatz. Dorf um Dorf machten wir vorwärts, teilweise unter Einsatz neuartiger Waffen. Anfangs ging es ganz gut. Aber je weiter es vorging, desto zäher und heftiger wurde der Widerstand der Russen. Dazu kam dann in den letzten Tagen noch die grimmige Kälte, wo wir teilweise -30° hatten.
Seit 3 Tagen ruht nun der Angriff, da die Witterung nichts anderes übrig lässt. Die vordere Linie wurde um mehrere km zurückverlegt. Somit wird nun begonnen, die Verteidigungsstellung für diesen Winter auszubauen und festzulegen. Auch wir sind seit gestern damit beschäftigt, unser Winterquartier aufzuschlagen und einzurichten. Ich glaube, dass wir es schon vollends so weit bringen, dass wir den Winter über gut untergebracht sind.
Die SS-Division, mit der wir eingesetzt waren, ist abgelöst worden. Es war auch höchste Zeit. Sie hatte nur Kompagnien mit 9, 20, 25 usw. Mann und umfasst heute noch die Stärke zweier Bataillone!!! Uns ging es wie immer. Wir sind der ablösenden Truppe zugeteilt worden. Zu Beginn dieses Feldzuges war unsere Abteilung einer Division zugeteilt, die heute schon wieder daheim ist. So ist mit uns wahrscheinlich mit einem Heimkommen in diesem Winter nicht zu rechnen.
Glaubt mir, ich weiß jetzt was Krieg ist. Ich habe ihn 4 Wochen lang in seiner tatsächlichen Wirklichkeit erlebt und werde es diesen Winter über nicht zu vergessen bekommen. Dazu kommt dann noch grimmige Kälte und sehr häufig eisig pfeifender Wind. Gegen 15 Uhr beginnt es hier jetzt schon zu dämmern und um 6.30 fängt der Tag an zu grauen. Alle zwei bis drei Tage habe ich Wache. Dazu stehen uns Übermäntel zur Verfügung, was ganz prima wärmt. Manchmal meinte ich schon, die Kälte würde mir die Nase aus dem Gesicht ziehen. Drei Mann unserer Batterie haben bereits die ersten Erfrierungen davongetragen. Eine sehr, sehr schwierige Sache ist bei dieser Witterung die Betriebserhaltung unserer Fahrzeuge.
Zu einem richtigen Schlaf bin ich schon lange nicht mehr gekommen. Habe ich Wache, so schlafe ich höchstens 4 Stunden. Habe ich keine, so lassen mich die Läuse nicht schlafen, die uns sehr stark belästigen. In den letzten 3 Tagen habe ich 40–50 getötet. Morgens und abends wird das Hemd auf beiden Seiten abgesucht. Es ist was Furchtbares. Der ganze Körper juckt halt dauernd.
Lieber Vater!
Schon sehr oft habe ich dran gedacht, was Du nicht hier in Russland mitgemacht hast. Sei es Kälte, Läuse oder Krieg, das gleiche mache ich heute auch mit; allerdings mit dem einen Unterschied, dass ich es vielleicht noch etwas besser habe, obwohl ich mir’s schlechter nicht vorstellen könnte.
Ganz überraschend kam für uns der Eintritt Japans und Amerikas in diesen Krieg. Für uns wirkt sich ersteres bestimmt gut aus; bindet Japan doch dadurch einen großen Teil von Englands Flotte. Damit Ihr nun ebenfalls eine Kontrolle über meine Briefe habt, habe ich heute damit begonnen, sie zu nummerieren.
Seid nun zum Schluss alle recht herzlich gegrüßt von
Eurem Kuno
Mein Briefpapier geht sehr bald zur Neige. Könnt Ihr mir welches schicken, auch Feldpostkarten und Feldpostbriefe.
Feldpostbrief Kuno Rinker 7
28.12.41
Liebe Eltern und Geschwister!
Kann Euch heute nach einigen Tagen wieder schreiben. Was sich in unserem Frontabschnitt zugetragen hat und was wirklich los ist, habt Ihr wohl durch den Wehrmachtsbericht erfahren.
Am 15.Dezember wurde die gesamte Front zurückgenommen. Das waren für mich meine härtesten Tage in Russland. Fahrzeug um Fahrzeug rollte rückwärts. Die Mehrzahl der Unsrigen sind auf der Strecke geblieben und mussten gesprengt werden. So sitze ich nun hier in einer Schule mit ungefähr 2/3 der Batterie. Mein ganzes Gepäck was ich hatte, liegt irgendwo auf einem Wagen, der auf seine Abschleppung wartet. So habe ich nur meinen Mantel, Koppel und Brotbeutel bei mir, und noch eine ausgeliehene Decke. Ob und wann ich zu meinen Sachen wiederkomme, weiß ich nicht.
Kalte, schlaflose Nächte liegen hinter uns. Zu essen bekamen wir kaum, da unsere Batterie auf den ersten 10 km völlig auseinanderkam. Niemand wusste Bescheid über die Lage. Einmal war ich sogar bei den allerletzten deutschen Truppen, die ein Dorf verließen. Das war so ein Augenblick. Man weiß, die Russen rücken immer näher heran und wir müssen warten und warten bis das Fahrzeug repariert wird.
Bei unserem letzten Einsatz erlebte ich ebenfalls einen kritischen Tag. Abends 5.00 Uhr muss ich nach einer Fernsprechleitung schauen, die gestört war. Durch knietiefen Schnee stapfte ich der Leitung entlang. Wie es nun kam, weiß ich nicht. Auf einmal habe ich die Leitung mit einer anderen verwechselt und gelangte bei einem Ari-Beob.-Stand an. Auf dem Rückweg überraschte mich heftiges feindliches Artilleriefeuer. Eine Viertelstunde lang lag ich auf dem Bauch im Schnee, als eine Feuerpause eintrat. Sofort watete ich weiter und erreichte eine Feuerstellung unserer Ari. Da begann der Zauber von neuem. Nach einer Stunde Aufenthalt im Bunker konnte ich endlich weiter und erreichte am späten Abend unsere Unterkunft. Dort erfuhr ich, dass die Russen angreifen und wir sofort zurück müssen. Leicht hätte es sein können, dass ich den Russen direkt in die Hände gelaufen wäre.
Und heute geht es um Sein oder Nichtsein unserer B36. Wenn wir bis 31. des Monats nicht einsatzfähig sind, werden wir aufgelöst und kommen zur Infanterie. Nun, einsatzfähig sind wir, nur nicht in der Stärke wie normal. So wurden nun die Trupps neu zusammengestellt. Der übrige Teil wird der Infanterie zugeteilt. Dabei bin auch ich. Unsere Aufgabe ist folgende: wir müssen die jetzige Hauptkampflinie halten, so lange bis die inzwischen eingetroffene Infanterie weiter zurück die endgültige Winterverteidigungslinie verteidigungsfähig ausgebaut hat. Das wird bis Ende Januar dauern. Nach diesem Einsatz wird dann die Front nochmals zurückgenommen und wir kommen ziemlich weit zurück in Ruhe.
Meine Lieben! Schwere Tage stehen mir bevor. Bis jetzt habe ich immer Glück gehabt und so hoffe ich, dass ich auch diesen ganz andersartigen Einsatz vollends gut überstehe. Wenn ich Euch länger Zeit nicht mehr schreiben kann, so habe ich eben keine Zeit dazu. Sorgt aber bitte nicht um mich.
Manche unserer Batterie haben sich auf diese Nachricht hin krank gemeldet mit allerhand verschiedenen Beschwerden. Ich hätte auch Grund dazu gehabt, denn meine Füße sind leicht erfroren. In keinen Zehen habe ich mehr Gefühl. Aber das machte ich nicht, denn erstens will ich nicht als Drückeberger angesehen werden, und zweitens wird jeder entbehrliche Mann gebraucht; und in erster Linie kommt der Erfolg unserer lieben Heimat, dann erst der Mann selbst. Mit diesem Grundsatz gehe ich den kommenden Tagen entgegen.
An meinem Geburtstage hatte ich Wache an einem im Schnee steckengebliebenen Wagen. 15° bis 20° Kälte, Schneesturm und Übernachten im Fahrzeug. Das genügte. Der Heilige Abend kam. Wiederum Wache. Das einzig Schöne an diesem Tage war die Post, die ankam. Ich erhielt Euer erstes abgeschicktes Päckchen. Herrlich mundete mir der Inhalt.
Am ersten Weihnachtsfeiertag war Arbeitsdienst, ebenfalls am zweiten. In den letzten beiden Tagen haben wir einen 3 km langen Weg von der 50 cm tiefen Schneedecke befreit um unsere Wagen hier wegzubekommen. Heute kam wiederum Post. Ich erhielt vier Päckchen und einen Brief von Gretel. Drei Päckchen von Euch und eines von Familie Guther. Bedankt Euch bitte bei diesen Leuten, auch bei Bäcker Thumm und Frau Mackens für das Päckchen. Sobald ich Zeit habe, werde ich es selbst tun. Wie herrlich schmeckt mir das prima Backwerk immer. Seit neuem erhalte ich auch den Brenztalboten. Das ist auch sehr schön.
Wir haben wirklich 50 bis 60 cm tiefen Schnee bei -20° - 25°. Ein Drittel der Batterie ist krank. Fast die ganze hat Durchfall. Mit Ausnahme meiner Füße bin ich bis jetzt von Erkältung, Husten usw. Gott sei Dank verschont geblieben. Zum Schlusse gedenke ich des kommenden Jahres. Ich wünsche Euch allen alles Gute, viel Glück und Gesundheit und ein glückliches Weihnachten.
Viele herzliche Grüße sendet Euch
Euer Kuno