Kriegsgedichte
In
den Tagebüchern sind einige Gedichte enthalten, die von einfachen
Soldaten und auch höheren Offizieren während des Krieges verfasst
wurden. Ich möchte, dass auch diese Werke nicht vergessen werden und
sie darum hier gesondert aufführen. Auch Gottfried Rinker dichtete sehr
gerne und so macht sein eigenes Gedicht den Anfang:
Erster
Weltkrieg
Die
Ordensverteilung
Da hört man
so oft mit dem Anflug der Klage
die höchst erstaunte, verwunderte Frage:
"Warum in der Front vorn so wenig Orden
wohl sein im Durchschnitt verliehen worden."
Ihr lieben Leute, das muss ich euch sagen,
so können wirklich nur solche fragen,
die damit die besten Beweise gaben,
dass sie keine Ahnung vom Kriege haben.
Zu was brauchen denn die in der Front vorn Orden,
die beinahe täglich nur kämpfen und morden,
sie sind doch nur mit Kameraden vereint
und sehen sonst niemand außer dem Feind.
Sie können doch täglich, ja stündlich fallen.
Zu was brauchen denn die noch Ordensschnallen?
Am Feinde, da braucht man nur zielbewusst,
eine tapfere, unauffällige Brust.
Die bunten Bänder
und das Ordensband
werden viel zu leicht vom Feind erkannt. -
Ganz anders ist's bei Etappen und Stäben,
die hinten die grässlichsten Schlachten erleben.
Da zeigt man sich dem erstaunten Volke
als belichteter Stern in der düsteren Wolke.
Da kann man sich frei und sicher bewegen,
braucht nicht immer Sorge auf Deckung zu legen.
Da
muss man sich können sehen lassen
auf dicht bevölkerten Plätzen und Gassen.
Dazu bedarf es schon buntverziert
eine Heldenbrust, reich dekoriert.
Zu Orden gehört - das bedenke man auch -
eine volle Brust und ein fetter Bauch.
Dies beides hat man doch ganz unvergleichlich
nur dort, wo Ruh' und Verpflegung reichlich,
vereint mit möglichsten Sicherheiten
und sonstigen kleinen Bequemlichkeiten.
Ja, dort hat man nur wirklich Verdruß,
daher auch am Orden den wahren Genuß.
Wenn ich mal später so Einen sehe,
mit leerem Knopfloch in meiner Nähe,
dann ist die Wahrscheinlichkeit sicher vorhanden,
der hat immer nahe am Feinde gestanden.
Doch wenn mir mal dann einer käme,
bei dem es die halbe Brust einnähme,
dann denk ich: der hat es gut gekonnt,
der war doch sicher hinter der Front.
Treff ich aber einen, der hat wie toll,
die ganze Brust und den Bauch noch voll,
dann ist es mir ganz sonnenklar,
dass er im Kriege weit hinten war.
Moral:
Vorne kommt der Kugelregen,
hinten aber der Ordenssegen!
Von Gottfried Rinker in Menen
(Belgien) 1916. Anlass dazu gaben die Offiziere, die über ihr
noch fehlendes Eisernes Kreuz 1. Klasse nörgelten, aber nie selbst an
der Front standen, sondern schön weit hinten in der Etappe (sicheres
Gebiet hinter der Front).
Die
Argonnenwacht
Wer stürmt dort auf die Feinde ein,
nicht achtend Tod und Verderben,
die Ernte halten in den Reihen
und schlagen manch Glück in Scherben?
Und wenn ihr die grauen Stürmer fragt,
so wird euch immer von neuem gesagt:
"Das sind die Jungen vom Schwabenland,
die bluten dort am Waldesrand!"
Wer liegt mit Wangen tot und bleich,
doch ohne zu murren und klagen,
und tuts den Helden allen gleich
von altbekannten Tagen?
Und wenn ihr die bleichen Gesichter fragt,
so wird euch mit stummen Blicken gesagt:
"Das sind die Helden vom deutschen Heer,
die bluten für des Reiches Ehr!"
Wer ruht dort unter dem Eichenbaum,
erlöst von Not und Kummer,
und schläft und träumt den ewigen Traum
und ruht in süßem Schlummer?
Und wenn ihr das Kreuz am Grabe fragt,
es euch in stummer Sprache sagt:
"Hier schläft ein Held in Grabesnacht,
ein Grauer von der Argonnerwacht."
Von Landsturmmann Karl Schmid aus Heidenheim,
mitten im Kugelhagel dichtet er im Juli 1915 in den Argonnen dieses
Gedicht.
Das
Etappennschwein
Wer
läuft so geschleckt
und gebügelt einher?
Wem fällt das Grüßen entsetzlich schwer?
Wer bezieht unzähliges Kommandogeld?
Wer ist in Gesprächen und Briefen ein Held?
Wer stielt uns die besten Weine?
Die Etappenschweine!
Wer hat weder Mut noch Gritze im Kopf?
und trägt doch das schwarz-weiße Band im Knopf?
Wer trippelt - den deutschen Frauen zur Schmach -
den geputzten, verseuchten Französinnen nach?
Wer schläft nur selten alleine?
Die Etappenschweine!
Wer packt beim geringsten Schießen den
Koffer?
Und zittert vor einem Durchbruch von Joffre.
Wer schmiedet die schlimmsten Latrinengerüchte?
Und macht unsre freudige Stimmung zunichte?
mit Schwarzseherei und Gegreine?
Die Etappenschweine!
Und doch ihr Wänste und Milchgesichter,
ihr aufgeblasenes, schlappes Gelichter,
wir möchten für euer erbärmliches Leben,
nicht eine der stolzen Erinnerungen geben!
Uns bindet Liebe und Treue!
Ihr seid die Etappensäue!
Ein Frontschwein.
Von einem
unbekannten Soldat im
Dezember 1914
in den Argonnen (Anmerkung: "schwarz-weißes Band" bedeutet das Eiserne
Kreuz; Joffre = franz. Oberkommandierender); über den Unterschiede
zwischen Frontsoldat und Etappensoldat (sicheres Gebiet hinter der
Front).
Das
Lausoleum
Droben steht am
Scherenfernrohr,
still und froh ein Herr vom Stab.
Drunten rennt zum Lausoleum
eine Kompagnie im Trab.
Weithin
winkt der Kleiderofen,
und zum Himmel stinkt sein Rauch.
Der vom Stabe lächelt spöttich...
Aber plötzlich juckt's ihn
auch!
Drunten trägt man sie zu Grabe,
die des Kriegers Sorg und
Qual.
Du vom Stabe, - feiner Knabe!
Dich - entlaust
man auch einmal!
Von einem
unbekannten Soldat im
Januar 1915 in den Argonnen. Anlaß dazu gaben die Herren Offiziere
hinter der
Front, die den verlausten Frontsoldaten belachten.
Geburtstagegedicht
für den Btls-Kommandeur
Es
sitzen frohe Zecher in schöner Tafelrund
und leeren ihre Becher in später Abendstund'.
Ihr Wohl, es gilt dem Führer vom II. Bataillon:
Du großer Weltregierer, beschütz den Heldensohn!
Ein Prosit dem tapferen Recken, der auch im neuen Jahr,
dem Feinde sei ein Schrecken, ein Stolz dem deutschen Aar!
Gemeinsames Werk von Leutnant
Eggensberger, Leutnant Wilhelm und Leutnant Gottfried Rinker zum
Geburtstag des Bataillons-Kommandeurs (II./120.I.R.) am 17.8.1915 in
den
Argonnen.
Geburtstagsgedicht
für den Kaiser
Kreuztürkenbombenelement!
Möcht' bei mei'm alten Regiment
am heut'gen Tag bei Leib nicht fehlen
und straf der Herrgott drob mein Seelen!
Ihr denkt, so mit Permiß zu sagen,
den ganzen Tag an Kehl und Magen,
derweil hat ob der Festespracht
an den alten Oberst noch keiner gedacht!
Seht mich nur an, - hier dieser Haut
hat der Herzog zuerst Euch anvertraut;
mit diesem Stock hier ward geweckt
der erste Musketier - Respekt,
als vor 240 Jahr
ich kommandiert' die wackre Schar.
Mir war, Gott straf mich, nicht vergönnt
ins Feld zu ziehen mit dem Kreisregiment,
doch sah ich unterm Prinzen Eugen
mein jungfräulich Banner im Pulverdampf wehn,
bei Wien und Belgrad vor Euren Hieben
die Türkenschädel in Stücke zerstieben,
da lacht mir jetzt noch 's Herz im Leib.
Auch war's bei Gott kein Zeitvertreib
als aus den rhein'schen Pfälzerlanden
Ihr triebt des Melacs Räuberbanden.
Bei Höchstädt gabs vor den Panieren
kein Gnad und auch kein Pardonieren
und auch als mit der Welt im Bunde
Ihr schlugt die napoleanischen Hunde,
bis dann bei Wörth und vor Paris
sich's Regiment so brav erwies,
dass es seitdem mit Stolz sich nennt
das "Kaiserliche Leibregiment".
Freut mich, dass Ihr stets habt gepflegt
was dieser Nam' Euch auferlegt:
Kameradschaft, ritterlicher Sinn,
als Grundstein strammer Disziplin,
den frischen, frohen deutschen Ton,
die Treu zu Vaterland und Thron.
Das ließ in langen Friedensjahren
der Väter Erbe Euch bewahren.
Da warf ins heil'ge deutsche Land
der Kriegsgott fürchterlichen Brand,
der Neid, der Haß, die Lüg', das Geld
zog gegen Deutsche Treu'zu Feld.
Doch, falsch die Rechnung war, die kalte,
zu einer Faust sich Deutschland ballte
und schlug mit derben, deutschen Hauen,
die Feinde auf die gierigen Klauen. -
Hei, wie war in der ersten Reih'
mein Regiment da mit dabei,
wie durch das Korn der Franzmann rannte,
die Kugel ihm im Rücken brannte
bei Lonwy, Signeulx, Barrancy,
bei Tellancourt und Villancy,
am Othain und dann an der Maas.
Weiß Gott, verteufelt war der Spaß,
wie's Regiment bei Mont dort stürmte,
wo Weinstock sich auf Weinstock türmte.-
Und weiter gings mit deutschem Singen;
es ahnte keiner, welch ein Ringen
das Regiment noch sollt' besteh'n
bei Foucaucourt, Pretz und Sommaisne.
Wohl mußten viele Brave lassen
Ihr Leben dort auf blut'gem Rasen
doch warf der kleine Hauf ' auf?s neu
den Feind aus Varennes und Boureuilles
und drang mit heiß'rem Siegesschrei'n
in die Argonnenhecken ein. -
Seitdem kämpft Mauer gegen Mauer
in 16 monatlicher Dauer
und Baum um Baum in den Argonnen
habt Ihr in heißem Kampf gewonnen.
Bei Leib! - Der Wald wird ewig sein
des Regimentes Ehrenhain.-
Auch sonst wo man Euch Kerle brauchte
dem Franzmann toll die Jacke rauchte,
bei Vauquois' Kirchhof, bei Fillemorte,
in der Champagne Totenorte.
Kurzum, - den Lorbeerkranz der Väter,
habt Ihr vermehrt um reiche Blätter.-
Heut habt Ihr festlich Euch vereint
auf Flanderns Boden nah am Feind,
den Kaiser, Euern Chef, zu feiern
und das Gelübde zu erneuern:
"Treu bis zum Tod und nicht gewankt,
so lang's das Vaterland verlangt."
Kopf oben auf! - Potzelement!
Ich trink auf den Kaiser und sein Regiment!
Vom Bataillons-Adjudant Oberleutnant Maisch des
120. I.R. zum Geburtstag des Kaisers. Vorgetragen am 27.01.1916 im
Offizierskasino in Menin.
Im
fernen Polenlande
Im Fernen Polenlande
Da
ist ein tiefes Grab.
Da senkten sie gar viele,
Zum Todesschlaf hinab.
Im fernen Polenlande,
Wo
Nordlands Winde ziehn,
Gabst du dein junges Leben
Dem
Vaterland dahin.
Im fernen Polenlande
Ruhst du vergessen nicht:
Und
auf dem Heldengrabe
Winkt ein Vergißmeinnicht.
Von Franz Größler; Stuttgart; gewidmet seinem
Neffen F.G., gefallen als Vizefeldwebel am 3. Dezember 1914 bei Lodz.
Zweiter
Weltkrieg
Gedenken und Hoffen
An der Wolga, da stand er bei Stalingrad
als Beobachter mutig, ein junger Soldat.
Und die 6. Armee, sie hielt Wochen lang stand
all' den Massen des Feindes im Steppensand.
Neunzehnhundertundvierzig und zwei es war,
um die
Wende des alten zum kommenden Jahr
da erlahmte die Kraft, und es schloss sich der Ring,
und die Not und der Tod durch die Reihen ging.
Und der Schlaf, ach, er fehlte, es gab nicht Ruh',
und der Hunger, er quälte; der Durst kam dazu
Was der Flieger auch brachte, es reicht' eben nicht.
Auch die Kälte, die eis'ge, erbarmt' sich nicht.
Und die Schlacht, sie nahm weiter den blut'gen Lauf.
Doch der junge Soldat gab die Hoffnung nicht auf:
Im Gebet
schaut empor er zu Gott, seinem Herrn,
doch das Dunkel
durchleuchtet kein heller Stern.
Kein Entsatz und
kein Helfender zeigte sich,
denn der Führer, er liess die
Armee ganz im Stich.
Und so war's denn ein Todeskampf, der nun
begann,
aus dem keiner der Kämpfenden heil entrann.
Auf
der Walstatt, da mähte der Tod so sehr,
in Gefangenschaft
schleppten sich Reste vom Heer.
Und der junge Soldat, wo mag
er nun wohl sein?
Keine Kunde kam heim zu dem Mütterlein
Und
die Mutter, sie weinet, ist bei ihm sacht'
in Gedanken bei Tag
und in Träumen bei Nacht;
und sie flehet und hoffet und wartet
mit Schmerz,
dass er wiederkehr' heil an das Mutterherz.
Von Gottfried Rinker 1943. Das Gedicht gilt seinem Sohn Kuno
Rinker. Dieser war Gefreiter in einer Beobachtungseinheit (FPN 25 395)
und schickte am 30. Dezember 1942 die letzte Nachricht aus Stalingrad.
Er wird bis heute vermisst.
Gebet
Wenn mich die Menschen plagen, wenn sie mich hassen, schmähn,
dann laß mich nicht verzagen, dann laß mich aufrecht stehn!
Was sie an mir auch schauen, das Herze schau'n sie nicht,
und ich will dem vertrauen, was mein Gewissen spricht.
Du, Gott, mögst scharf es machen, dass es mich nie betrügt
bei
Weinen und bei Lachen, wie es das Leben fügt!
Du wolltest mich bewahren vor Menschen Haß und Neid
und anderen Gefahren in Zeit und Ewigkeit!
Von Gottfried Rinker 1945
Wenn - dann
WENN ich mich von aller Welt verlassen wähne,
wenn in Leid und Schmerz mir aus dem Auge bricht die Träne,
wenn ich nirgends kann Gerechtigkeit entdecken,
wenn Verfolgung, Haß und Neid bei Tag und Nacht mich schrecken,
wenn der Hunger als Gespenst sich mir will zeigen,
wenn die
Kurve der Moral bedenklich sich will neigen,
wenn die Lüge nicht mehr aus der Welt will weichen,
wenn sich Not und Elend überall die Hände reichen,
wenn nur alte Märchen uns von Treue künden,
wenn die Welt nicht Trost und Ruh' und Frieden mehr kann finden,
DANN, o Herrgott, will ich trotzdem nicht verzagen,
dann will ich, o Herrgott, dennoch Hoffnung in mir tragen,
dann erst recht soll keiner mir das Beste rauben,
dann, o Gott, will ich erst recht an deine Liebe glauben!
Von Gottfried Rinker 1945