In Flandern

Mitten in der Nacht verlassen wir Grandpré. Das kleine Argonnenstädtchen mag kaum mehr als 1000 Einwohner zählen. Doch sehen wir stattliche Läden und Gasthäuser. In der bahnarmen Gegend spielte aber Grandpré schon lange eine Rolle als Bahnstation. - Reisen sollte man eigentlich bei Tage. Das war diesmal nicht möglich. Die erste Bahnstrecke lag noch im Bereich der feindl. Artillerie. Bei Tage hätten also feindl. Fesselballone und Flieger unsern Abtransport gemeldet und uns einen unangenehmen Abschied bereitet. Nicht einmal eine Kerze durfte im Wagen brennen. Der Bahnhof Challerange wurde kurz vor unserer Durchfahrt beschossen. Bald darauf sahen wir links der Bahn ein paar Scheinwerfer spielen. Es war der Flugplatz Monthois der 3.Armee. Dann kamen wir nach Vouziers, dem Sitz des Armee-Oberkommandos (A.O.K.3. General von Einem). Vom Städtchen selbst sahen wir so viel wie nichts. Es lag völlig im Dunkeln wegen feindlicher Flieger. Wir legten uns deshalb aufs Polster (Offiziere fahren bekanntlich II.Klasse) und schliefen auch sogleich ein. Kurz nach 3 Uhr weckte der Adjudant. Unser Zug stand in Charleville (etwa in der Größe von Gmünd oder Tübingen). Hier hatte damals die Oberste Heeresleitung ihren Sitz. Der Kaiser erschien aber nicht, um sein Regiment zu begrüßen. Als der Tag schwach dämmerte, war die franz. Grenzfestung Givet erreicht. Keiner wollte mehr schlafen, um sich die überreichlichen landschaftlichen Reize des Maastales nicht entgehen zu lassen. Diese Festung wurde am 31.8.1914 durch die 3.Armee mit Hilfe österreichischer Motormörserbatterien genommen. Der nächste größere Ort war Dinant. Es ist eine beachtenswerte Industriestadt, die im Mittelalter zum Hansabund gehörte. Das Maastal ist hier sehr eng, was seine Reize erhöht. So eine Fahrt im Frieden! Musste ich denken. Dinan fiel am 23.8.1914 nach überaus erbitterten Straßenkämpfen. Wo die Maas von links die Sambre aufnimmt, liegt die Festung Namur. Die Stadt hat die Größe von Reutlingen. Bei Ninant und Charleroi wurde vom 23. bis 24.8.1914 die franz. 5.Armee von unserer 2.Armee geworfen. Die Festung selbst wurde von einem Detachement unter General von Gallwitz 4 Tage beschossen und am 25.8.1914 erstürmt.

Wir nähern uns Lüttich. Alles drängte nach einem günstigen Ausguck. Gar zu gerne hätten wir die Reise für einige Stunden unterbrochen, da wir doch einige Tage Ruhe in Aussicht hatten. Es war, eisenbahntechnisch, unmöglich. Wir sahen das ein. Ganz nahe waren wir hier der 3-Länder-Ecke, und mancher wäre lieber auf Grenzwacht an die holländische Grenze gestanden als an den Yserkanal, dem wir allem Anschein nach zustrebten. Über die Grenzschlachten an der belgischen Grenze im Aug. 1914 war alles begeistert (damals!). Unser Einmarsch in Belgien hat uns viel geschadet in der Meinung der Welt. England konnte damit seinen wahren Grund über seinen Kriegseintritt verschleiern. Erst nachträglich stellte sich klar heraus, dass unser Generalstab den richtigen Weg gewählt hatte. Das belgische Volk war durch französisches Geld gegen uns verhetzt worden. Schon 1870/71 begingen die Belgier an unsern Verwundeten schamlose Greuel. Bismark schrieb damals an die belgische Regierung: Sieht Belgien nicht ab davon, so hört es auf, ein Königreich zu sein. Das wirkte damals.

In diesem Feldzug beteiligte sich die belgische Zivilbevölkerung am Kampf. Mit unerhörter Grausamkeit wurden kleinere Trupps und Verwundete abgeschlachtet, sogar Gefallene noch geschändet. Auch wurden Geschosse verwendet, die wegen ihrer grausamen Wirkung völkerrechtlich verboten waren (sogen. Dum-Dum-Geschosse.) Nur drakonische Maßnahmen waren imstande, das entmenschte belgische Volk schließlich zur Besinnung zu bringen. 

Die belgische Schande: zum Vergößern anklicken
Belgische Schande

Als in Gent unser Zug die südliche Linie verfolgte, wurde uns unser Einsatz an der Ypernfront zur Gewissheit. Auf Station "Vogelsang" (zwischen Deize und Tielt) wurden wir ausgeladen. Zur Front war es noch weit, sodaß wir annehmen konnten, daß wir zunächst in Ruhe kamen. In beinahe 2 stündigem Nachtmarsch erreichten wir über Dentergem und Markegem das stattliche Dorf Wakken. Quartier erhalte ich bei dem wohlhabenden Brauereibesitzer Loontjens. 2 Söhne von ihm rückten ins Feld. Seit mehr als 1 Jahr hatte er keine Nachricht mehr von ihnen. Ein jüngerer Sohn war noch zu Hause. Mein Zimmer war geräumig, schön und geschmackvoll möbliert und sehr sauber. Leider hatte es keinen Ofen. Meine Quartiersleute waren sehr freundlich. Ihre Freundlichkeit erregte nur mein Mißtrauen. Vielleicht tat ich ihnen damit Unrecht. Erst in den folgenden Tagen merkte ich, dass auch die übrige Einwohnerschaft uns wohlgesinnt war.

Der Grund war bald erkennbar: In Belgien sind 2 Volksstämme vereinigt: Die französisch gesinnten und sprechenden Wallonen und die niederdeutschen Vlamen. Mit letzteren hatten wir es zu tun. Unsere Sprachverwandtschaft ermöglichte einen regen Verkehr mit der Bürgerschaft. Die Vlamen führten schon viele Jahrzehnte einen Kampf um Eigenständigkeit. Nicht Belgien selbst verhinderte den Sieg, sondern Frankreich, das jede deutsche Kultur hasst. Die deutsche Besatzung erweckte bei den Vlamen die Hoffnung, ihr Ziel nunmehr zu erreichen. Die Geistlichkeit allerdings fürchtete das lutherische Deutschland. Sie liebte Frankreich mehr, weil es katholisch ist. Die Amtssprache ist französisch, die auffallende Reinlichkeit in den Häusern aber ist deutsch. Am 3.Tag unseres Hierseins suchten wir alle Häuser nach Waffen ab, fanden aber nichts. Die verdutzten Einwohner nahmen uns diese Maßnahme sehr übel. Inwieweit sie militärisch begründet war, konnte ich nicht feststellen.

Stadt Menen
Menen

Am 2.1.1916 wohnte ich in Markegem einem Hahnenkampf bei (Eintritt 40 Pfennig). Die Arena war 3 m im Quadrat. Wer einen schönen, kräftigen jungen Hahn hatte, brachte ihn. Das Los entschied über die Zusammenstellung der Kämpferpaare. Bevor ein Paar den Kampf begann wurde auf den voraussichtlichen Hahn gesetzt (1-5 RM). Den Hähnen wurden Stahlsporne angeschnallt, deren Dornen vorher auf ihre Länge verglichen wurden. Dann begann der grausame Kampf, der stets mit dem Tode des einen Hahnes endete, manchmal auch mit dem Tode beider. Höchstdauer des Kampfes war 1/4 Stunde. Zuletzt verglichen sich die Sieger, bis zuletzt nur noch 1 Alleinsieger übrig war. Warum unsere Militärverwaltung gegen diese Tierquälerei nicht einschritt, ist mir unerklärlich. 

In Menen

Wir leben hier besser als in Garnison, da der Dienst wenig Anforderungen an uns stellt. Am 10.1.1916 machten wir einen Reisemarsch über Kezelberg nach Moorsele. Wahrlich, ein göttliches Gefühl! so ohne Führer-Verantwortung mit seiner Truppe durchs Gelände marschieren zu können. Aber als Bummler konnte man uns nicht lange dulden. Vom 11.1.1916 waren wir wieder einer genaueren Bestimmung übergeben: Korpsreserve. Damit zusammen hing auch eine neue Kriegsgliederung. Die 26.I.D. wurde wieder mit der 27.I.D. zum XIII. A.K. vereinigt unter General Frh. von Watter. Unsere Schwesterdivision rang schon im Okt.1914 im Verband der 6.Armee auf flandrischen Boden bei Messines um die Entscheidung. Sie zählte damals zur Gruppe Fabeck (mit XV.A.K. und II. bayr. A.K.), bei der auch das württb. I.R. 126 kämpfte. Später fand sie Verwendung im Osten. Im Verband der (12.) Armee Gallwitz bildete sie mit 3.I.D. und 4.G.I.D. das verstärkte XIII. AK unter General Frh. von Watter, das sich im Sommer 1915 am Narew-Durchbruch hervorragend beteiligte. Sie hatte vorher schon den Feldzug in Südpolen (Herbst 1914 - Dez.1914) hinter sich. Als im Sommer 1915 Sieg auf Sieg vom Osten gemeldet wurde, beneideten wir die 26. I.D.. Nun freuten wir uns aber herzlich, dass die beiden schwäbischen aktiven Divisionen wieder vereinigt waren. General Watter, unser neuer Korpsführer, wurde von uns wegen seiner durch und durch soldatischen Erscheinung und seines Bartes der "Kriegsgott" genannt. 

General Freiherr von Watter
General Watter

Das Rgt. hatte sich ein eigenes Kasino eingerichtet, das am 14.01.1916 eingeweiht wurde. Beim Trinken wurden die Alten Deutschen zum Vorbild genommen, sodass der größte Teil des Offizierskorps besoffen war. Gerne aufgesucht wurde auch das Estaminet (Cafe) Lillerstraße 152 (Gretel Rahel, Germania), weil man sich dort in einem rein deutschen Café wähnen konnte. Reizend waren stets die Spaziergänge in die Umgebung. Einmal trafen wir dabei in Wevelgem mit dem Intendanturrat unserer Division zusammen. Er rumorte, weil er noch nicht das Eiserne Kreuz 1 .Klasse hatte. Wir waren sprachlos. Während wir oft in tausendfacher Gefahr standen, tagelang nicht aus den Kleidern kamen, uns oft müde schuften mussten bis beinahe zur Erschöpfung und manchmal schrecklich Hunger und Durst litten, saß er weit hinten in sicherem, hübschen Bürgerquartier, hatte ein paar Stunden Kanzleidienst, genoss ständig seine ungestörte Nachtruhe in einem weichen, warmen Bett und konnte sich nach Herzenslust toll und voll fressen und saufen. Er schämte sich nicht solcher Äußerungen vor uns Frontsoldaten! Pfui Teufel! Auch ihm gilt das folgende Gedicht:

Die Ordensverteilung.

Da hört man so oft mit dem Anflug der Klage, die höchst erstaunte, verwunderte Frage:
"warum in der Front vorn so wenig Orden, wohl sein im Durchschnitt verliehen worden."
Ihr lieben Leute, das muss ich euch sagen, so können wirklich nur solche fragen,
die damit die besten Beweise gaben, dass sie keine Ahnung vom Kriege haben.
Zu was brauchen denn die in der Front vorn Orden, die beinahe täglich nur kämpfen und morden,
sie sind doch nur mit Kameraden vereint und sehen sonst niemand außer dem Feind.
Sie können doch täglich, ja stündlich fallen. Zu was brauchen denn die noch Ordensschnallen?
Am Feinde, da braucht man nur zielbewusst eine tapfere, unauffällige Brust.
Die bunten Bänder und das Ordensband, werden viel zu leicht vom Feind erkannt. -
Ganz anders ist's bei Etappen und Stäben, die hinten die grässlichsten Schlachten erleben.
Da zeigt man sich dem erstaunten Volke, als belichteter Stern in der düsteren Wolke.
Da kann man sich frei und sicher bewegen, braucht nicht immer Sorge auf Deckung zu legen.
Da muss man sich können sehen lassen, auf dicht bevölkerten Plätzen und Gassen.
Dazu bedarf es schon buntverziert, eine Heldenbrust, reich dekoriert.
Zu Orden gehört - das bedenke man auch - eine volle Brust und ein fetter Bauch.
Dies beides hat man doch ganz unvergleichlich, nur dort, wo Ruh' und Verpflegung reichlich,
vereint mit möglichsten Sicherheiten, und sonstigen kleinen Bequemlichkeiten.
Ja, dort hat man nur wirklich Verdruß, daher auch am Orden den wahren Genuß.
Wenn ich mal später so Einen sehe, mit leerem Knopfloch in meiner Nähe,
dann ist die Wahrscheinlichkeit sicher vorhanden, der hat immer nahe am Feinde gestanden.
Doch wenn mir mal dann einer käme, bei dem es die halbe Brust einnähme,
dann denk ich: Der hat es gut gekonnt, der war doch sicher hinter der Front.
Treff ich aber einen, der hat wie toll die ganze Brust und den Bauch noch voll,
dann ist es mir ganz sonnenklar, dass er im Kriege weit hinten war.
Moral:
Vorne kommt der Kugelregen, hinten aber der Ordenssegen!

Mein neues Quartier war Königsstraße 69 bei Schlächtermeister van Gheluwe-Meuleman. Ich hatte ein Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer zur Verfügung. 2 Söhne (einer Schlachter, einer Pfarrer) und eine Tochter sind da. Ein dritter Sohn rückte als Apotheker ins Feld. Schon lange fehlte Nachricht von ihm. Aus Gram darüber starb die Mutter vor 4 1/2 Monaten. Aus den Unterredungen mit dem Pfarrer gewann ich den Eindruck, dass die belgische Geistlichkeit (auch im flämischen Teil) uns ablehnt wegen des Protestantismus. Im Hause waren die Leute sehr freundlich zu mir. Sie baten mich aber, sie auf der Straße nicht zu grüßen, um sie nicht in den Verdacht der Deutschfreundlichkeit zu bringen. Beim Abschied fragte ich: Würde es Sie freuen, wenn Sie eines Tages erfahren würden, ich sei gefallen? "Eigentlich ja!" war die Antwort. In den folgenden Tagen hatten wir strengen Exerzierdienst. Wir Offiziere wurden am MG ausgebildet. Bei einer solchen Übung plumpste ich einmal zum großen Gaudium meiner Leute in einen Bach.

Skizze der Ypernfront: zum Vergößern anklicken
Ypernfront

Der Kampf um Ypern

Von Mitte Nov. 1914 ab bildete sich auch in Flandern eine stehende Front. Der Gegner durchstieß und sprengte den Damm, sodass das Meer in die untere Yserlandschaft hereinbrach. Auf diese Weise retteten sich die 6 belgischen Divisionen vor dem Zupacken des III. Res.Korps. Ein weitverzweigtes Kanalsystem bildete für den Verdeidiger große Vorteile, für den Angreifer ebensogroße Nachteile. Ein verhältnismäßig ruhiger Kriegswinter folgte. Der Gegner holte in verstärktem Maße seine Hilfsvölker herbei. [...] Im Frühjahr 1915 entbrannte an dieser Front der Kampf wieder ganz besonders. Die Kämpfe haben insofern eine außerordentliche Bedeutung, als bei denselben erstmals Gas im Blasverfahren angewendet wurde. Von dieser Zeit an wurde die flandrische Front nicht mehr ruhig, wenn auch unsererseits an dieser Stelle jegliche Durchbruchsabsicht fallen gelassen wurde. Dagegen kam der Gegner in Jahr 1917 auf den Plan Frenchs zurück. Dadurch entbrannte eine Schlacht, die vielleicht noch schrecklicher war als die Verdun- und Sommeschlacht im Jahre vorher. Bei diesen Kämpfen fiel auch mein Schwager Ernst Bauer im Houthulster-Wald (7.Nov.1917). Auf den Friedhof St.Josef bei Staden fand er seine letzte Ruhestätte. 

Am 7.2.1916 kamen wir zum erstenmal in Stellung. Der Abschnitt des Rgts zählte ungefähr 850 m in der Länge. 4 Unterabschnitte wurden gebildet und mit Buchstaben A bis D (von rechts herein) bezeichnet. Die Kompagnien wurden in ihrer Reihenfolge eingewiesen, also 4.Komp. in den Abschnitt D. Infolge der großen Ausdehnung mussten alle 3 Züge eingesetzt werden. Ich übernahm mit meinem ersten Zug den rechten Flügel. Vom Gegner bin ich 300 - 400 m entfernt. Im Abschnitt des 2.Zuges bei Fähnrich Wagner ist ein großer (40 -50 m Durchmesser) und ein kleiner Sprengtrichter, dazu eine Sappe. Dort nähert sich die feindl. Stellung auf 25 -30 m. Der Abschnitt des 3.Zuges zieht sich in nordwestlicher Richtung am Fuße der Höhe 59 hin. Nach links hin liegt noch 1 Kompagnie vom I.R. 127, dann mündet der Graben in eine Mulde, die derart sumpfig ist, dass jegliche Grabarbeit unmöglich ist. Diese Mulde wurde von uns Saubucht genannt. Durch sie geht also keine Stellung, jedoch ein Drahthindernis (angelegt als einmal alles gefroren war). Später übernahm unser Rgt diesen Abschnitt und gab dafür am rechten Flügel ein Stück her.

Im Bulgaren-Laufgraben: links (ich)
Bulgarengraben

Die Stellung machte einen sehr guten Eindruck. Flandrischer Sand schmutzt nicht wie Argonnenlehm. Die Grabenwände waren großenteils durch Faschinen befestigt, besonders diejenigen der II.Stellung und der Annäherungswege, die sogenannten Laufgräben. Die Wände waren allerdings mit Sandsäcken aufgebaut. Ihre Widerstandsfähigkeit war also keine große. Der Boden hatte einen Bretterbelag, unter dem ein Kanal den Abzug des Wassers ermöglichte. Man konnte also bequem und ohne Gefahr der Beschmutzung in Haus- oder Lackschuhen durch die Stellung gehen. Erstaunt war ich darüber, woher dazu das viele Material kam. In den Argonnen saßen wir mitten in großem Waldgebiet. Bretter aber waren fast nicht zu bekommen. Hier zeugte alles von fleißiger und planvoller Arbeit. War in der 4.Armee die Organisation besser als in der fünften? Die Unterstände waren leicht gebaut. Sie waren nur Splitter-, aber nicht schußsicher. Dagegen war nichts zu machen, denn der hohe Grundwasserstand ließ ein tiefes Indenbodengehen nicht zu. Stollen waren überhaupt nicht vorhanden. Aber der Unterstand hatte seinen Ofen. Holzkohlen (die keinen Rauch geben) waren auch einige vorhanden. Jedenfalls konnte man mit Einbruch der Dunkelheit einheizen, und dann war es recht gemütlich. Es war nötig, denn in Flandern hieß es: Michel, der Seewind pfeift. Mein Unterstand war ganz am rechten Flügel der Kompagnie.. Als ich aber später wieder einmal in Stellung kam, gähnte an seiner Stelle ein großer Granattrichter. Da bekam ich ein neues "Quartier" am Laufgraben.

Es war recht klein. Ein weißes Mäuschen leistete mir dort täglich Gesellschaft. Ich gab ihm reichlich Nahrung. Aber auch dieser Unterstand, den ich eben durch das weiße Mäuschen (abergläubig!} geschützt glaubte, wurde eines Tages durch eine Wurf-Mine eingedrückt. Mein dritter Unterstand war das Lieblingsziel feindlicher Gewehrgranaten. In meinem Zugsabschnitt war es der beste Beobachtungsstand des Regiments. Der Feind merkte das. Er richtete darauf ein Gewehr ein, das er einspannte. Wir beobachteten dort aus diesem Grunde nur mit einem Spiegel. Unser Rgts-Arzt (Stabsarzt d.L. Artur Sailer, im Frieden Zivilarzt in Murrhardt) verschmähte den Spiegel am 20.7.16 und fiel durch Kopfschuß. Wir "Grabenkämpfer" hatten in diesen Dingen mehr Erfahrung und mieden die direkte Beobachtung. Wir bedienten uns der Spiegel, die am Graben angebracht waren. Für den Gegner waren sie oft Zielscheibe. Es freute mich, dass auch unser Brigadekommandeur (Generalmajor Haas) sich dieser Spiegel bediente. Noch mehr freute mich allerdings, dass in meinem Zugsabschnitt ein Maschinengewehr (MG) aufgestellt war. Ein solches war für die Infanterie die reinste Beruhigungspille. Dort, an diesem MG-Stand, nahm ich oft ein "Sonnenbad". 

Aus dem Kampfgebiet vor Ypern: Langemark
Langemark

An unserem Abschnitt (vom IR 126 übernommen) war es schwer, Reserven heranzuführen und gedeckt unterzubringen. Deshalb wurde eine Baukompagnie gebildet (Führer Lt.d.Res. Ernst Ludwig, Fabrikant in Königsbronn), die eifrig Betonunterstände, MG-Stände usw. anlegte. Am 7.2.16 waren wir erstmals in Stellung. Wir fühlten uns viel wohler als in den Argonnen. Dennoch hatte ich an diesem Tag in meinem Zug den ersten Toten des Rgts (der 21 jährige Musketier Hermann Mudelsee, Kaufmann in Horb). Obwohl die Gefechtstätigkeit gering war, an unsere Nerven also geringe Anforderungen gestellt wurden, wurden wir nach 3 Tagen schon wieder abgelöst. Am 12.2.16, einem sog. Ruhetag, musste ich von 7 Uhr vorm. bis 1/2 2 Uhr nachm. mit 1 Vizefeldwebel, 5 U'offz. und 100 Mann zum Arbeitsdienst in die II. Stellung. Das mir der damalige Btls-Kommandeur Frh. von Malchus die Hand dafür drückte war sicher eine billige Belohnung. Dort war auch die Baukompagnie, eine Rekrutenkompagnie und eine Pionierabteilung. Solch emsiges Schaffen behagte dem Gegner nicht. Mit höchstem Eifer suchten seine Flieger Einblick zu gewinnen. Wo sie ein dankbares Ziel glaubten, hetzten sie die Artl. darauf. Von 1/2 11 Uhr ab umschwirrten uns die Granatsplitter. Wie durch ein Wunder blieben uns trotzdem Verluste erspart, obwohl wir die meiste Zeit "über Erde" arbeiteten. Dabei fand ich einen toten Engländer, von dem nur noch das Skelett in den Kleidern steckte. Nicht weit davon hatte eine Granate das Gerippe eines andern aus der Erde gewühlt. Nur wenig entfernt davon war der Friedhof der 126er noch völlig unversehrt. Auf den meisten Kreuzen war nur eine Nummer angebracht und darunter stand: "Hier ruht in Gott ein unbekannter deutscher Held". 

Als der Abend herankam, wurde es ruhig. Ich ging zu Lt.d.Res. Bögel, der den Abschnitt rechts von mir hatte. Da stürzte sein Bursche herein: Bei der 4.Kompagnie erfolgt ein engl. Gasangriff. Im Nu steht alles mit der Gasmaske im Graben. Handgranaten werden geworfen und rote Leuchtkugeln werden abgeschossen. Unsere Batterien schießen Sperrfeuer. Dann stellte sich heraus, dass überhaupt kein Gas vorhanden war. Die Engländer hatten nur einige Minen zu kurz geschossen. Den Pulverdampf davon hatte es auf unsern Graben zugetrieben. - Den ganzen Februar funkten beide Artillerien kräftig. [...] Der Graben war an verschiedenen Stellen eingeschossen, ein Verkehr in ihm nicht mehr möglich. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde sofort mit der Ausbesserung begonnen. Fast kein Mann der Kompagnie brachte ein Auge zu. Die Kompagnie hat in dieser Nacht ungefähr 600 Sandsäcke gefüllt und verbaut. Zu dieser Nachtarbeit konzertierte unsere Artillerie von 11-2 Uhr. Tommy wartete mit seiner Vergeltung bis zum anderen Tag. Da brachte er u.a. Kartätschen und 24er auf den Markt. Am lästigsten wurde er uns aber dadurch, dass auch er jetzt bei Nacht mit Artillerie und Minen funkte. Jeden Tag schoss er uns ein Stück Graben zusammen. Verluste hatten wir trotzdem nur geringe. Das kam daher, dass er lange auf dieselbe Stelle schoss. Sobald also die ersten Schüsse fielen, wusste jeder, wohin er auszuweichen hatte. Die Kompagnie ballte sich also bald auf dem linken, bald auf dem rechten Flügel zusammen, bald auch im Abschnitt der Nebenkompagnie. 

Französische und deutsche Gasmaske
Gasmasken

Schlag 8 Uhr stellte der Gegner das Feuer ein. Wieder brachte eine Nacht lang fast niemand ein Auge zu. Doch blieb die Nacht ruhig. Am andern Morgen (2.3.16) von 1/2 4 bis 1/2 6 hatte ich Grabendienst. Schlag 1/2 6 setzte Trommelfeuer ein. In kurzer Zeit setzt uns der Gegner 20 Volltreffer in den Graben. 4 Mann waren tot, einige verwundet, 1 MG samt Stand zusammengeschossen. Das Feuer verzog sich verhältnismäßig rasch nach links zum I.R. 123, das die am 14.2.16 eroberte "Große Bastion" besetzt hielt. Dort machten die Engländer eben (in dieser kurzen Zeit!) einen erfolgreichen Gegenangriff. Auch unser II.Btl wurde dem I.R. 123 zur Unterstützung gesandt. 6. und 8.Komp. hatten furchtbar gelitten. Meine ehemalige 7.Komp. zählte auch 9 Gefallene, darunter auch den Spielmann meines einstigen Zuges (Dietz aus Owen u.T.). Die mir befreundeten Lt. Haas und Hildenbrandt wurden verwundet; mein Freund Meidele blieb unversehrt. Als ich ihn so ein paar Tage später wieder traf, traten mir die Tränen in die Augen. Am 3.3.16 morgens 7.45 marschierten wir still und matt hinter den 4 Särgen unserer gefallenen Kameraden ins Ruhelager. Nachdem der Engländer seine Bastion wieder hatte, wurde die Front wieder ruhiger. -Während unserer 4-tägigen Ruhezeit bekam ich zweimal einen Schwächeanfall.

Der April 1916 und der Mai 1916 bringen uns wieder "normale" Verhältnisse. Darunter versteht man, dass der Engländer am 2.4.16 unsere Feldküche zusammenschoss, dass er mir am 3.4.16 vier Minenvolltreffer in den Graben setzte, am 5.4.16 einen Artillerievolltreffer und so fort. Am 26.4.16 sah ich eine große Kugelmine auf mich zukommen. Gebannt musste ich unbeweglich stehen bleiben."Heut gilt es dir" war mein letzter Gedanke und ein höchst wohliges Gefühl durchzitterte mich. Im letzten Augenblick sprang ich ein paar Schritte nach rechts, ein Mann, der neben mir stand, ein paar Schritte nach links. 2 m hinter den Graben krepierte sie. Der Luftdruck warf mich an die Grabenwand. Ein Stützbalken der Grabenbefestigung löste sich und traf mich im Fallen, verursachte aber nur eine leichte Hautabschürfung am linken Arm. Der andere Mann wurde verwundet. Am 4.4.16 schickte ich eine Patrouille weg (lauter Freiwillige: Gefr. Beck, Gefr.Knepper, Hornist Gefr. Imhof), die den genauen Stand eines engl. MGs feststellen sollten. Sie kam erfolglos zurück. Öfter als wir selbst aber machten die Engländer Patrouillen. Wir erwiderten mit gewaltsamen Erkundungen, "Urlaubsreisen" genannt. Dabei wurde einmal ein engl. Offizier eingebracht. Er berichtete, dass sie viel leichter auf Patrouille gehen könnten seit das neue Armeekorps hier liege. Die Infanterie erhielt darauf den Befehl, bei Nacht mehr zu schießen. Für unsere MGs war das verboten, da durch das Mündungsfeuer ihre Stellung verraten worden wäre. Sie erhielten aber einen Feuerdämpfer und konnten nun auch nachts mit ihren Geschoßgarben das Gelände abstreuen. Zudem erhielt jedes Rgt eine 2. MG-Kompagnie. Den Engländern wird von da an das Patrouillegehen etwas gefährlicher vorgekommen sein.

Waldfriedhof bei Ypern: wo manch tapferer Schwabe begraben liegt
Waldfriedhof

Angriff auf die Doppelhöhe 60

Dieser Angriff war schon lange kein Geheimnis mehr. Von unserem Rgt wurden I. und III. als Sturmbataillone bestimmt. Am 29.5.16 wurden wir aus der Stellung zurückgezogen und kamen ins Lager Waldheim. Für den Sturm war alles vorbereitet. In 3 Wellen hatten die Angriffstruppen vorzugehen. Als ältester Zugführer der Kompagnie durfte ich wählen, welche Welle ich führen wollte. Ich wählte die erste, die sogenannte Sturmwelle. Vizefeldwebel Wacker führte die zweite (Säuberungswelle), Lt.d.Res. Diebold die dritte (Unterstützungs-, Material-und Munitionstransportwelle). Sturmanzug umgeschnallt, Mütze, Sturmgepäck, viele Handgranaten. Jeder Offizier und Zugführer erhielt eine nach Fliegerphotographien hergestellte Skizze.

Jeder Einzelne war sich darüber klar, dass uns keine leichte Arbeit bevorstand. Bei I.R. 124 kämpfte am 14.2.16 Mann gegen Mann; nur Schritt um Schritt konnte der Gegner z.T. mit erstmals als Grabenkampfmittel benützten Holzkeulen zurückgedrängt werden. [...] Da kam der Befehl: "Die Kompagnien rücken vorläufig nicht ab." Am andern Morgen traf bei uns der Korpstagesbefehl ein, der allseitiges erleichtertes Aufatmen auslöste. Er lautete: "Soldaten des XIII.Armeekorps, unsere Aufgabe war viele feindl. Kräfte an diesen Frontabschnitt zu fesseln. Diese Aufgabe habt Ihr erfüllt. Wenn Euch nun Seine Majestät, der Kaiser, auf einen andern Kriegsschauplatz berufen wird, so tut auch dort Eure Pflicht." Im Geiste sahen wir uns schon bei Verdun, weil wir die Kriegslist, die in obigen Korpstagesbefehl steckte, nicht ahnten. Der Engländer war nämlich stets gut über unsere Lage unterrichtet, also auch über unseren baldigen Angriff. Durch den Soldaten, der harmlos mit seinem flandrischen Schatz plauderte oder durch den Mann, der gerne mit seinem Wissen prahlte, erfuhr die belgische Bevölkerung stets das Neueste. Wie es ihr aber möglich war, die Engländer so schnell davon zu unterrichten, brachten wir nie ganz heraus. So war auch der Korpstagesbefehl über unser "Wegkommen" den Belgiern bald bekannt. (Unsere "Etappenschweine? leisteten hier Glänzendes! ) Als angenommen werden konnte, dass der Engländer über unser "wegkommen" unterrichtet war, befahl das XIII. A.K. den Angriff. 

Der 2.Juni 1916: Morgens 5 Uhr wurde genaue Zeit ausgegeben (nach der wir unsere Uhren einstellten) und der Befehl: "4 1/2 Std. vor X beginnt die Artillerievorbereitung. 7 Min. nach X geht die Infanterie zum Sturm vor. Was X ist, wird später bekanntgegeben". Um 1/2 10 Uhr kam ein zweiter Uhrenvergleich und der Schlußbefehl: "X = nachm. 3 Uhr." Als besonderes Zeichen für den Beginn des Infanterieangriffs soll der Stollen bei Punkt 36 gesprengt werden. Doch sollen die Zugführer die Möglichkeit ins Auge fassen, dass dieselbe versagt. Ein dritter Uhrenvergleich während der Artillerievorbereitung drang nicht bis zu mir durch, da die Gefechtsordonanz, die ihn melden sollte, unterwegs fiel. In dem Feuerorkan kauerten wir armen Infanteristen wie ein Häufchen Elend in unsern Fuchslöchern (ab 1/2 11 Uhr). Der Engländer hielt mit seiner Artillerie zunächst zurück. Ich beobachtete deshalb die ersten Granateinschläge. Gott sei Dank! Sie lagen gut. Als aber der Gegner auch mit Artillerie losraste, deckte ich mich in mein Fuchsloch. In Abständen von etwa 1/2 Stunde kroch ich durch den Graben (ein aufrechtes.Gehen war unmöglich), in dem die Granat- und Schrapnellsplitter wie gesät lagen, um nach meinen Leuten zu sehen. Meine Verluste waren gering. Um 1 Uhr hörte man mitten in dem Geschützlärm ein MG rattern. Ich schnellte empor und äugte nach vorn. Es war das engl. MG, das bei Punkt 29 aufgestellt war, und mir immer große Sorge machte. Blieb es intakt, so wurde ich mit meiner ganzen Welle niedergemäht. 

So wurde es 3/4 3 Uhr. Ich stellte meinen Zug bereit. Zum Glück fehlten nur wenige. Von 3 Uhr ab hatte ich die Uhr in der einen, die Pistole in der andern Hand. 3.04 sah ich rechts unsere Schützenlinien vorstürzen. Was tun? Kurzes überlegen: Die Infanterie muss gleichzeitig vor, soll der Sturm gelingen. Wir mussten den Gegner noch in den Unterständen überraschen. Hatte er den Augenblick unseres Angriffs erkannt, entschied der Bruchteil einer Minute über Gelingen oder Misslingen. Darum durfte ich nicht bis 3.07 warten. Hier musste der Unterführer auf eigene Verantwortung selbstständig handeln. Als der Komp.-Führer 3.07 den Unterstand verließ, um das Vorgehen meines Zuges zu beobachten, war ich schon im ersten feindlichen Graben. 3.04 hatte ich meinem Zug den Befehl gegeben: "Zum Sturm- auf! marsch! marsch!"

Beim Vorgehen (d.h. Vorstürzen) wählte ich meinen Platz nahe dem linken Flügel, um gegebenenfalls den Anschluss links an die beiden vorn III.Btl stürmenden Kompagnien bewerkstelligen zu können. Schon stand ich im feindl. Drahthindernis, da schlug noch eine Gruppe 15er Granaten in den 20 Schritte vor uns liegenden feindl. Graben. Blitzschnell warfen wir uns nieder. Da wackelten 2 (2 Ttr schwere) Minen dem gefährlichen Eck bei Punkt 25 zu. Ich bog rasch den linken Flügel durch Armschwingen zurück. Im selben Augenblick ging unsere Sprengung bei Punkt 36 hoch. Dadurch wurden die etwa 1 1/2 Gruppen (12 Mann) links von mir von herabfallenden Erdmassen getroffen und fast alle außer Gefecht gesetzt. Ein Mann wurde vom Luftdruck etwa 3 m in die Luft geworfen. Da hing er frei in der Luft, streckte alle viere von sich und hielt mit der Rechten sein Gewehr. Als er wieder Boden unter sich hatte, stürmte er - weil völlig unversehrt - weiter. Es war Musketier Geiger, der noch am selben Tag fiel. Mein Bursche Karl Veil, der 2 Schritte links von mir war, erlitt durch die herabstürzenden Erdmassen eine Rippenquetschung und schied aus. Die Lage meines Zuges war für Augenblicke brenzlig. Die Sprengung machte mir klar, dass das III. Btl noch nicht auf meiner Höhe war, ich also links keinen Anschluss hatte. Und gerade mein linker Flügel war schon durch die Sprengung kampfunfähig.

Deutsche schwere Artillerie an der Küste Belgiens
schwere Artillerie

Beim weiteren Vorgehen mehrten sich die Verluste. Die Handgranaten gingen aus. Da kam Unterstützung durch den 3. Zug, der schneidig durch das MG-Feuer vorging. Sein Führer, Lt.d.Res. Diebold, erlitt dabei den Heldentod. Endlich, endlich erreichten unsere Handgranaten das feindl. Nest. Auch der Gegner warf Handgranaten. Nach über einer Stunde stürmten wir mit dem Schlachtruf: "Sieg-Nordseeflotte!" in den Stützpunkt ein. Ein Lt. und ungefährt 20 Mann wurden in die Gefangenschaft abgeführt. Trotz ungeheurer Beschießung hatte der Stützpunkt nur wenig gelitten. Die goldene Linie und damit das Angriffsziel war erreicht. Wir wussten nun, dass wir gegen eine kanadische Division gekämpft hatten. Sicher hatte sie durch unsere Artillerie furchtbar gelitten; ihre Infanterie riss aus. Über ihren Verbleib wussten wir nichts. Deshalb erhielt ich mit meinem Zug den Auftrag, diesen festzustellen und das Eingraben der Kompagnie zu sichern. Ich gelangte unbehelligt bis zur Achtwegefarm vor. Vor mir lag ein weiter welliger Grund. Der Zillebecker See lag greifbar nahe vor uns. Malerisch grüßten die Ruinen des Dorfes herauf. Und dahinter Ypern! Ein fesselndes Bild! Alles schwieg! 

Nach ganz durchwachter Nacht legte ich mich bei meiner Rückkehr in den Graben (3.6.16) in ein Fuchsloch und schlief sofort ein. Nach etwa 1 Stunde erwachte ich. Grundwasser hatte sich in meinem Loch angesammelt, und ich lag buchstäblich in einem See. Nun rief ich meine Gruppenführer zusammen und gab ihnen Anweisungen für den Stellungsausbau. Nachdem dies geschehen, begab ich mich zum Komp.Führer, um mit ihm unsere Lage zu besprechen. Kaum war ich weg, wurden meine sämtlichen Gruppenführer (die noch beieinander standen) und meine Gefechtsordonanz von einer eigenen Granate getötet. Darunter Gefr. Mühlbacher, Sohn des Felsenbauers in Hohenmemmingen und U'offz. Hermelink, Theologe, Professorssohn aus Tübingen. Wir verdanken ihm manche erbauliche Betrachtung im Schützengraben. Eine soldatische Erscheinung war er nicht, ein Kommando abgeben konnte er nicht, oft wusste er auch nicht wo es fehlte. Aber verlassen konnte man sich auf ihn unbedingt. Stets hatte er beide Hände in den Hosentaschen. So lag er denn auch auf der Walstatt. Nur meine Gefechtsordonanz wurde verwundet, die anderen wurden vom Luftdruck getötet. Bald darauf erfolgte der 1. Gegenangriff. Aufgeregt flitzten uns die eigenen Granaten über die Köpfe weg, kurz nachher (viele in der Luft - Granatbrennzünder!) krepierend. Die Infanterie schoss wie rasend. Der Gegner wich. Aber fast stündlich ging er von neuen gegen uns vor. Auf rote Leuchtkugeln trommelte unsere Artillerie sofort Sperrfeuer. Trotz Übermüdung wiesen wir alle Angriffe ab. Aber bedenklich lichteten sich unsere Reihen. Hunger und Durst wurden fast unerträglich. Als aber der Gegner abends auf wenige Schritte sich näherte, stiegen wir aus dem Graben und warfen ihn im Handgranaten- und Bajonettkampf. Das war fast Übermenschliches! Uns graute vor der Nacht. 

Mit Einbruch der Dunkelheit begann man wieder einen Graben zu schaufeln. Noch mehr feindl. Batterien traten andern Tags in Tätigkeit, ihn zu zerstören. Jetzt wurde einer zugedeckt, gleich darauf einer verwundet, dann fielen 2 durch Granaten und so gings fort. Zwischen die Hunderttausende kleiner und mittlerer Granaten kam alle 3 Minuten eine schwere (24cm). Man hörte eine solche aus allen andern heraus ihre Bahn durch die Luft ziehen. 5 m vor dem Graben schlägt sie ein. Die Größe des entstandenen Trichters machte uns schaudern. 2 Mann kriechen in den Trichter, dessen Grund sich mit Grundwasser anfüllt; sie sagen sich: 2 solche finden nicht dasselbe Plätzchen (und das trifft ja zu; aber kleinere Granaten und Splitter!) Die 3 Minuten sind um. Schon faucht auch ihre Schwester heran. Wumm! 10 m hinter dem Graben ist ein neuer Trichter entstanden. Auf die kleineren Kaliber achtet man fast gar nicht mehr. Schon wieder sind 3 Minuten um. Diesmal hat es mehr dem linken Flügel gegolten. Keiner im Graben spricht ein Wort.

Der Kriegsfreiwillige Fuchs in meinem Zug (Student aus Tübingen) ist der ruhigste. Schon wieder hat der Gegner Bd.2-S.367 es am zweiten Tag so weit gebracht, dass unser Graben nur noch stellenweise kenntlich d.h. überhaupt noch ein Graben ist. Ein Verkehr hin und her ist ausgeschlossen. Wo man gerade steht oder liegt ist man hingebannt bis zum Abend. Die paar wenigen Stellen, die noch Graben sind werden zum Aufenthalt bevorzugt. Hier drängen sich mehr zusammen als gut ist. In meinem Zugsabschnitt ist eine solche Stelle. Ausgerechnet diese ist das Ziel einer 24er. 2m vor dem Graben bohrt sie sich in den Boden. Sie wirft die Grabenwände ein; 6 Mann sind verschüttet. 2 Schritte daneben liege ich mit meinem Aushilfsburschen Bitzer. Wir beginnen sofort mit dem Ausschaufeln der Verschütteten. Nur 2 gaben noch geringe Lebenszeichen von sich (starben aber bald darauf), die andern 4 waren schon tot, darunter genannter Fuchs. Bald darauf wurde die schwere Artillerie still. Ich schaute nach der 3.Komp. (Lt.d.Res.Hunsicker), die rechts anschloss und ihre Stellung im Wald hatte Der mir benachbarte Zug Bögel dieser Komp. hatte ebenfalls schwer gelitten. Ich zählte auf meinem Hinweg 5 Tote. Der rechte Flügel dieser Komp. kam besser weg, ebenso die 2. Kompagnie, die noch weiter rechts lag. Beide Komp. hatten zudem als Stellung noch einen Graben. Bei der 2.Komp. traf ich auch den Btls-Kommandeur, der unsere Ablösung noch nicht versprechen konnte. Also noch einen Tag auf die Zähne beißen! Der 10.6.16 verlief etwas angenehmer. Unsere Artillerie, die nach dem Angriff fast ganz verschossen war, verwandte ihren Nachschub an Munition dazu, die engl. Batterien tüchtig zu befeuern. Wir Infanteristen waren ihr dafür sehr dankbar. In der Nacht vom 10./11.6.16 spannten wir alle Kräfte an und schufen einen Graben (das hatten wir ja jeden Morgen, nur war er eben bis zum Abend nur noch ein Vexierbild), denn in der Frühe des 11.6.16 sollte uns die 10.Komp. ablösen und die sollte doch wenigstens einen Graben vorfinden. Schrecklich langsam ging die Nacht hin. Um 3 Uhr sollte die Ablösung erfolgt sein. Doch traf die 10. Komp. erst um 1/2 4 Uhr ein. 

Heimaturlaub

Abends fühlte ich mich wieder wohl, sodass ich im Kasino erscheinen konnte. Alles freute sich der Ruhe, man war lustig; aber unverkennbar klang ein herber Unterton durch. Furchtbar dröhnte es von der Front her; die Scheiben klirrten auf; am Bahnhof schlugen schwere Granaten ein. Stand uns ein Schicksal bevor wie dem Gr.R. 123 an der Bastion? Mich selber berührte die Frage weniger: Die Division hatte meinen Urlaub genehmigt d.h. meine vorübergehende Versetzung zum Ersatzbataillon verfügt. [...] Furchtbarer Geschützdonner war der Abschiedsgruß der Flandernfront. Ich ahnte zu dieser Stunde nicht, dass ich für immer vom Regiment schied. Außerdem war es mir viel zu wohl: Heute ging mich der Geschützlärm nichts an; es war ein prächtiger Sommertag; und ich fuhr der Heimat zu! In Lille verließ ich den Zug. Die Stadt war erst tags zuvor von franz. Fliegern besucht worden, die Bomben abwarfen. Ein dadurch entstandener Brand wurde eben noch gelöscht. Die Stadt hatte durch den Krieg viel gelitten. Allerdings rührten die meisten Zerstörungen von den Franzosen selber her, da die Stadt noch in der Reichweite der franz. Geschütze lag. [...] Es war eine herrliche Fahrt. Inzwischen aber hatten meine Kameraden draußen schwere Stunden. Der Gegner machte seinen Gegenangriff. Er trommelte Gräben und Kompagnien des III. Btls zusammen. Die 10.Komp., die uns vor 2 Tagen abgelöst hatte, wurde zu einem kümmerlichen Rest zusammengeschossen, und dieser Rest geriet mit dem Komp.-Führer (Obltn. Schmid) in eine entsetzliche Lage, z.T. in Gefangenschaft. Die Doppelhöhe 60 ging verloren. Die 4.Komp. wurde der 10.Komp. als Unterstützung vorgeschickt. Ein Rgts-Befehl sprach der 4.Komp für diese Unterstützung und den schneidigen Angriff (am 2.6.16) seine besondere Anerkennung aus, zumal es hauptsächlich ihr Verdienst war, dass wenigstens Höhe 59 in unserem Besitz blieb. Ich erhielt für diesen Angriff den Friedrichsorden II.Klasse mit Schwertern, der mir in die Heimat nachgesandt wurde. So traf ich mit Stolz in der Heimat ein.

Blick in das von uns nach heißem Kampf besetzte Lille
Lille